2025.12.02 / 4. Prozesstag / Bericht

Das Verfahren beginnt um kurz nach halb zehn, heute auch in Anwesenheit zweier Nebenklage-Anwält*innen. Zwei Verteidigerinnen einer Beschuldigten geben eine Erklärung zum Zeugen H ab. Dieser habe zu einseitig ermittelt, sich sofort auf den Tatkomplex Wurzen fokussiert und einige wichtige Schritte seiner Recherche nicht dokumentiert. Außerdem sei seine Aussagegenehmigung möglicherweise nicht wirksam. Darauf folgt eine weitere Erklärung der Verteidigung zur Zeugenaussage des T. Dieser habe zu keiner Zeit einen Überblick gehabt, wer wann über den Firmenwagen verfügen konnte, und es konnte durch seine Aussage nicht geklärt werden, ob es sich auf den gezeigten Bildern um sein Firmenfahrzeug handele.

K, ein ehemaliger Arbeitskollege einer Beschuldigten, wird als erster Zeuge des Tages aufgerufen. Auf die Frage, was er zum Verfahren beitragen könne, antwortet er: „Weiß ich nicht.“ Der Vorsitzende stellt ihm viele Fragen, woraus sich ergibt, dass er und die Beschuldigte ein gutes kollegiales Verhältnis gehabt und häufig im Team zusammengearbeitet hätten. Ähnlich wie der Chef am Vortag hat auch K keinen Überblick mehr darüber, wer wann angestellt war, geschweige denn, wer wann genau Zugriff auf das Firmenauto gehabt hätte. Das Auto konnte er noch gut beschreiben und hielt es nach der Betrachtung der Bilder für möglich, dass es sich um das Fahrzeug handele. Er beschreibt die Zusammenarbeit mit der Beschuldigten. In der Regel sei immer er gefahren, sie hätten keine Aufträge in der Nähe von Wurzen gehabt, und nur wer ein besonders gutes Verhältnis zum Chef hatte, hätte das Auto auch mit nach Hause nehmen dürfen. Er konnte sich an keinen Zeitpunkt erinnern, zu dem die Beschuldigte das Auto überhaupt gefahren sei.  

Auf Nachfrage beschreibt er seinen Eindruck ihrer politischen Einstellung. Er gibt an, sie als gemäßigt links, nicht radikal, sehr vernünftig erlebt zu haben. Über Politik ins Gespräch gekommen seien sie, weil das ganze „Antifa-Zeugs“, womit er sich nicht auskannte, in Connewitz sehr präsent gewesen sei.  

Auf einige suggestive und geschlossene Fragen durch den Vorsitzenden bestätigt der Zeuge vage, dass die auf den Fotos abgebildeten Gegenstände auf dem Armaturenbrett ihm vertraut vorkämen. Als ihm bei der polizeilichen Vernehmung die Bilder gezeigt wurden, gab er an, einige Flecken wiederzuerkennen und sich an ein ungenutztes Kabel zu erinnern, welches eine alte Freisprechanlage gewesen sein könne. Andere Gegenstände kamen ihm gar nicht bekannt vor.

Im Weiteren wird er nach einem Freund der Beschuldigten gefragt, welcher auch mal als Aushilfe in der Firma gearbeitet habe. In dem Zuge stellte sich heraus, dass ihm bei den polizeilichen Vernehmungen mit einigen Formulierungsvorschlägen ausgeholfen worden , die er heute als eher unpassend identifiziert.

Den benannten Kumpel beschreibt er auf Nachfrage als „altersentsprechend links“. Dann werden ihm zwei Aufnahmen einer Person gezeigt, die er nicht erkenne. Die Staatsanwaltschaft stellt noch vertiefende Nachfragen zur Zusammensetzung der arbeitenden Teams.

Nun reiht sich die Verteidigung in die Befragung des Zeugen ein. Es werden weitere vertiefende Fragen zu Gegenständen im Auto, sowie zum konkreten Arbeitsalltag, zum Standort des Firmenwagens und zur Schlüsselübergabe gestellt. Außerdem berichtet er, dass auch er mal einen Freund als Aushilfe mitgebracht habe. Beim Verlesen einer Beschäftigtenliste erkenne er keinen Namen wieder, außer dem der Geschäftsführerin. Auf Nachfragen zu den polizeilichen Vernehmungen beschreibt er, wie diese zustande kamen. Ihm wurde damals mitgeteilt, es ginge um Lina E. und andere – dies habe ihn irritiert, er wusste nicht, worum es gehe und was er da solle. Die Polizei las ihm Namen vor. Bei drei dieser Personen bestätigte er eine Zusammenarbeit in der Vergangenheit. Abschließend beschreibt er kurz die zweite polizeiliche Vernehmung, bei welcher es vor allem um die arbeitstechnischen, organisatorischen Aspekte ging.

Der Zeuge wird entlassen und es schließt sich eine fast zwei Stunden lange Mittagspause an. Nach der Pause geben die Verteidigerinnen einer Beschuldigten eine Erklärung zum Zeugen ab. Die Vielzahl an Mitarbeiter*innen sowie die dynamische Zusammenarbeit scheinen zur Folge zu haben, dass fast niemand einen Überblick über alle Angestellten hat.

Nun betritt Zeuge E. den Saal, ein Anwohner aus Küren (Ortsteil von Wurzen). Seine Aussage beginnt mit einer Beschreibung seiner Erlebnisse. Er beschreibt, wie er bei seinem Kumpel im Garten saß und kurz nach 18:00 Uhr jemand auf der Straße vor dem Haus zwei Mal laut nach Hilfe gerufen habe. Er sei als Erster auf die Straße gelaufen und habe vier „Mann“ auf eine am Boden liegende Person einschlagen sehen. Dann seien drei Männer und eine Frau, dunkel gekleidet, an ihm vorbei gelaufen, und einer der Männer habe „Scheiß Nazi!“ gesagt. Er habe nicht sehen können, ob Schlagwerkzeuge oder Fußtritte zum Einsatz kamen und konnte sich weder an Vermummung noch an Gesichter erinnern. Bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung habe er gesagt, es habe sich ausschließlich um Männer gehandelt, sagte im ersten Antifa-Ost-Verfahren jedoch aus, es sei eine Frau beteiligt gewesen. Nun erwähnt er, die Information über die Frau habe er im Nachhinein aufgeschnappt und deshalb vor Gericht ausgesagt.

Anschließend habe er Cedric Scholz geholfen. Seinen Zustand beschreibt er wie folgt: ein bisschen zerkratzt, geblutet am Rücken und im Gesicht, konnte aber reden und aufstehen – „Ging alles wunderbar.“. Da Cedric mit freiem Oberkörper dagelegen habe und seine Sachen auf dem Weg verstreut gewesen seien, gab er an, ihm beim Aufsammeln geholfen zu haben. Er gab an, sich zu keiner Zeit mit keinem Mitglied der Familie Scholz, geschweige denn Cedric selbst, über mögliche Kontexte des vermeintlichen Angriffs unterhalten zu haben. Die Familie sei dann weggezogen; Cedric habe er lediglich gelegentlich beim Fußball gesehen.

Der Senat stellt nun vertiefende Fragen. Sie wollen wissen, ob die Personen, die er gesehen habe, die Tat aufgrund seines Erscheinens abgebrochen hätten; dies bejaht der Zeuge. Anschließend habe er diese Richtung Bundesstraße weglaufen sehen. Es werden Nachfragen dazu gestellt, welche Kleidungsstücke er mit aufgesammelt habe. Konkret könne er sich nicht erinnern, jedenfalls Sportklamotten, vielleicht eine Trainingsjacke.

Die Staatsanwältin stellt weitere Nachfragen zum Zustand von Cedric Scholz. Wo genau er welche Art von Verletzung hatte, wusste der Zeuge nicht mehr. Er konnte aber sagen, dass Cedric alleine aufstehen und laufen konnte.

Es folgen die Fragen der Verteidiger*innen. Zuerst geht es um sein Verhältnis zu Cedric Scholz. Diesen kenne er nur als Nachbarssohn seines Kumpels. Er beschreibt weiterhin, wo genau das Haus seines Kumpels steht und wo der Garten liegt. Er beschreibt auf Nachfrage erneut den Ablauf und einige Details: Er habe als Erster, noch vor seinem Kumpel D, die Straße betreten. Der „Scheiß Nazi“-Ruf sei nicht besonders laut, sondern in normaler Lautstärke gesagt worden. Er sagt erneut, dass Cedric Scholz alleine aufgestanden sei und mit ihm gemeinsam seine Sachen eingesammelt habe. Er habe keine Kenntnisse über irgendwelche politischen Aktivitäten von Cedric Scholz; kenne ihn eigentlich nur, weil er ab und zu beim Fußball zuschaue.

Es werden noch ein paar Fragen zu einem Imbiss in der Straße und dem weiteren Abendverlauf des Zeugen gestellt. Er sagt nochmal, dass er durch „Tratsch im Dorf“ erfahren habe, dass eine Frau dabei gewesen sein soll. Er habe aber sonst mit niemandem weiter darüber gesprochen: „Ging uns ja nichts an!“

Gegen 14:20 wird D, ein anderer Kumpel des damaligen Nachbars von Cedric Scholz, in den Zeugenstand gerufen. Den Ablauf beschreibt er ähnlich wie E. Er wisse nicht mehr, ob Frauen oder Männer beteiligt gewesen seien und ob etwas von den Personen gerufen wurde. Auf die Frage, ob er etwas über politische Aktivitäten von Cedric Scholz wisse, sagt er, dieser sei politisch eher rechts; er habe gehört, er sei in einer Art Verein oder Gruppe. Aber er wolle damit nichts zu tun haben. Cedric Scholz habe sich später bei ihm für die Hilfe bedankt.

Die Fragen des Senats folgen, auch D soll genaue Lagepunkte auf einem Google Maps-Auszug einzeichnen. Staatsanwältin Geilhorn stellt noch eine Verständnisfrage zu einem Begriff sächsischer Mundart. Der Zeuge antwortet: „Das sagt man in unserer Sprache so.“ und wird vom Senat entlassen.

Um 14:45 wird der letzte Zeuge des Tages aufgerufen: Kriminalhauptkommissar J. Dieser beschreibt zuerst seine Arbeit und womit er befasst gewesen sei. Er sollte ein Aservat in Form eines USB-Sticks auswerten und hat darüber zwei Berichte verfasst. Für die Auswertung seien ihm die vorhandenen Dateien zur Verfügung gestellt worden, und er beschreibt diese: zwei Ordner mit knapp 20 Fotos und 2 PDFs, in welchen sich wissenschaftliche Texte befanden. Die Auswertung der Metadaten der Fotos habe ergeben, dass einige der Bilder mit einer Panasonic-Kamera aufgenommen worden seien.

Der Senat stellt Nachfragen zur aufgefundenen möglichen Seriennummer, welche der Zeuge der Kamera zuordnete. Dabei handele es sich, wie seine Recherche bei Panasonic ergeben habe, nicht um eine richtige Seriennummer, sondern um eine Nummer, die nur Rückschlüsse auf die Charge gebe, in welcher die Kamera produziert wurde.

Nach einer kurzen Pause stellen einige Verteidiger*innen vertiefende Nachfragen. J beschreibt noch genauer, wie er, wann und mit wem Kontakt bei der Firma Panasonic gehabt habe. Auch die beschriebene Nummer wirft erstmal mehr Fragen als Antworten auf. Die Nummer gibt an, dass die Kamera die 823. ist, die an diesem Tag in dieser Charge hergestellt wurde. Es gäbe die Kamera in fünf verschiedenen Farben. Welche Rolle dieser Faktor in der Nummerierung und den möglichen Rückschlüssen auf ein gleiches Modell geben könne, kann der Zeuge nicht so recht erklären. Ihm wird vorgehalten, dass sein Kontakt bei Panasonic ganz ausdrücklich formuliert habe, dass diese in den Metadaten aufgefundene Nummer keine Rückschlüsse auf eine konkrete Kamera zulasse. Es handele sich dabei ausdrücklich nicht um eine Seriennummer. Ein Verteidiger fragt nach, warum er diese Aussage nicht deutlich in seinem Bericht  habe. Weiterhin wird der sehr lange Zeitraum, der zwischen dem Kontakt mit Panasonic und dem Erstellen des zweiten Berichts vergangen ist, kritisch hervorgehoben.

Unklarheiten seitens der Verteidigung bestehen auch in einer Aussage eines Panasonic-Mitarbeiters, dass dieser in einer E-Mail an J von einem „heutigen Gerichtstermin“ geschrieben habe. Der Zeuge wisse nicht, was damit gemeint sein könne – zu dem Zeitpunkt sei noch nicht einmal eine Anklage erhoben worden.

Als Letztes wird er noch nach einem Hintergrundgespräch zwischen Polizei und Presse im Frühjahr 2025 gefragt. Er könne damit nichts anfangen und sei jedenfalls nicht daran beteiligt gewesen.

Der Zeuge J wird entlassen.

Zum Ende der Verhandlung widerspricht ein Verteidiger vorsorglich der Verwertung des genannten Aservats. Der USB-Stick sei aufgrund von Gefahrenabwehr sichergestellt worden. Es habe trotz ausreichend viel Zeit zu keinem Zeitpunkt ein Durchsuchungsbeschluss bestanden – zumindest sei in den Akten nichts derartiges auffindbar. Folglich sei die Verwertung des Sticks nach aktuellem Stand widerrechtlich.

Als Allerletztes werden noch die besagten Bilder aus dem USB-Stick in Augenschein genommen. Gegen 16:30 Uhr wird die Verhandlung unterbrochen. Nächster Termin ist der 10.12. mit der Vernehmung des Zeugen Cedric Scholz von 09:30  Uhr bis 13:00 Uhr.

Die Angeklagten werden, wie bei jedem Betreten und Verlassen des Saals, mit solidarischem Applaus, Winken und vereinzelten Luftküssen verabschiedet.

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