2025.12.09 / 5. Prozesstag / Bericht
Für den Prozesstag war als einziger Zeuge Cedric Scholz geladen. Scholz, ehemaliger Stützpunktleiter der Jungen Nationalisten aus dem Landkreis Leipzig, war am 30.10.2018 von Unbekannten in der Nähe seiner Wohnanschrift angegriffen und zusammen geschlagen worden. Die Verhandlung wurde bereits um 13:00 Uhr vom Gericht beendet.
Zu Prozessbeginn hatten sich etwa 25 solidarische Beobachter*innen im Saal eingefunden. Eine Person wurde, obwohl sie bereits zahlreiche Prozesstage besucht hatte und ein Foto ihres Ausweisdokumentes vorzeigen konnte, nicht in das Gebäude gelassen. Wie bei allen Kleinlichkeiten verwies das Sicherheitspersonal auch hier wieder auf „die Vorschriften“. Cedric Scholz erschien kurz vor Beginn der Verhandlung allein und zu Fuß bei Gericht. Anwesend waren auch drei VertreterInnen der Nebenklage, Rechtsanwalt Steffen Hammer und Mario Thomas sowie die Rechtsanwältin Wipper aus Magdeburg.
Erklärung nach §257 StPO
Zu Beginn gab die Verteidigung eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung zur Vernehmung des Kriminalkommissars Johannes Junghanß am 4. Prozesstag ab. Junghanß hätte zu Unrecht den Eindruck erweckt, dass die Urlaubsfotos und die mutmaßlichen Bilder der Ausspähung von Scholz‘ Wohnort mit der gleichen Kamera gemacht worden seien. Weder sei die Seriennummer der Kamera aus der Untersuchung zweifelsfrei hervorgegangen. Noch seien die Entstehungshintergründe der Metadaten geklärt.
Vernehmung: Zeuge Cedric Scholz
Die Vernehmung des Zeugen begann der Vorsitzende Richter Joachim Kubista. Bei der Aufnahme in den Zeugenstand verzichtete der Richter ohne Erklärung auf eine Adressangabe Scholzs, wie es sonst üblich wäre. Seine Fragen konzentrierten sich vor allem auf den Tathergang am Abend des 30.10.2015. Scholz gab an, nachdem er die Haustür verlassen hatte, zwei Personen wahrgenommen zu haben, die sich ihm von vorne näherten. Eine Person sei etwa 1,90 Meter groß und darum vermutlich männlich gewesen. Die andere Person sei kleiner, vielleicht 1,70 Meter groß gewesen und deswegen möglicherweise weiblich.
Von hinten hätte er dann Schritte gehört, hätte sich herumdrehen wollen und sei dann aber bereits zu Boden gerissen worden. In der Folge hätten sich zwei Personen auf seinen Körper gekniet und er sei dann mit Schlagstöcken geschlagen und mit einem Stiefel getreten worden. Er habe dann um Hilfe gerufen, um auf sich aufmerksam zu machen. Dann sei ein Nachbar, der Zeuge Dieckelt, auf der Straße erschienen und habe etwas gerufen. Daraufhin hätten die Angreifer von ihm abgelassen. Die ganze Situation habe zehn Minuten gedauert, so Scholz auf Nachfrage.
Bei den Schlagstöcken habe es sich um Teleskopschlagstöcke gehandelt, erklärte Scholz und verwies auf das signifikante Klickgeräusch, welches diese beim Ausfahren erzeugen würden. Auf Nachfrage der Verteidigung räumte er ein, selbst bereits mehrfach solche Schlagstöcke in der Hand und auch einen gekauft zu haben, „zur Selbstverteidigung“. Außerdem habe er erkannt, dass der Stiefel, mit dem er getreten wurde, Stahlkappen besessen hätte. Dies wisse er, da er in einer anderen Situation zuvor ebenfalls mal ins Gesicht getreten worden sei, der damalige Schuh aber mehr nachgegeben habe. Dies sei passiert im Zuge einer Nazidemonstration am 1. Mai 2015 oder zum „Tag der deutschen Zukunft“ im Juni 2015 in Neuruppin. Bilder von Cedric Scholz findet ihr hier:
- zum „Tag der deutschen Zukunft“ 2015. Scholz ist die Person im blauen Shirt im Vordergrund: https://www.flickr.com/photos/soerenkohlhuber/18579084415/in/album-72157654127529606
- weiteres zu ihm sowie Fotos unter: https://www.soli-antifa-ost.org/der-nebenklaeger-cedric-scholz/)
Ebenso versiert gab sich Scholz hinsichtlich des Einsatzes von Quarzsandhandschuhen gegen ihn. Mindestens eine angreifende Person habe diese getragen. Er habe das an den Wölbungen an den Handknöcheln erkennen können. Er sei bereits bei einem früheren Angriff auf ihn mit dieser Art Handschuh geschlagen worden.
Scholz erlitt Kopfplatzwunden, Prellungen an den Händen, auf dem Rücken und an den Knien, außerdem einen Bruch des Wirbelfortsatzes. Bilder aus dem Krankenhaus, die die Polizei gefertigt hat, wurden in Augenschein genommen. Er sei zwei Wochen im Krankenhaus gewesen. Ob er krankgeschrieben worden sei, wisse er nicht mehr. Da sein Arbeitsverhältnis aber irgendwann in der Zeit endete, hätte er sich nicht krankschreiben lassen müssen. Außerdem sei er in der Folge schreckhaft geworden, wenn er allein unterwegs gewesen sei.
Nur kurz wird Scholz zum Angriff auf Connewitz befragt. Er sei verurteilt worden zu „so etwas wie 150 Sozialstunden“. Kurz nach dem Angriff sei sein Name auf linksunten.indymedia aufgetaucht. Dort sei ein Steckbrief zu jedem Angreifer veröffentlicht worden. Weitere Infos dazu unter: https://le1101.noblogs.org/post/2017/01/11/152-cedric-scholz/
Scholz unterhielt in der Zeit rund um den Angriff intensiven Kontakt zum Leipziger NPDler Enrico Böhm. Dieser hatte ihm mehrere Fotos von mutmaßlichen Linken geschickt, mit der Frage, ob die unter den Angreifern gewesen seien. 2018, so die polizeilichen Vernehmungen, hatte Scholz mindestens vier Personen erkannt. Diese Episode gehört zu den Besonderheiten des Zeugen. Er und andere Neonazis aus dem Nahfeld der NPD versuchten, den Angriff sowohl propagandistisch auszuschlachten als auch politische Gegner*innen ins Visier der Polizei zu bringen. So hat Scholz im Interview mit Sebastian Schmidtke „nicht 100 Prozent die Wahrheit gesagt“, man habe das Ganze propagandistisch nutzen wollen. Auch mit dem verurteilten SS-Mitglied Karl Münter führte er ein ähnliches Gespräch – worum es dabei im Detail ging, war Scholz angeblich nicht mehr erinnerlich.
Die neonazistische Gesinnung und Betätigung von Scholz ließ das Gericht innerhalb der Befragung bis auf kleine Fragen außen vor. Erst durch die Fragen der Verteidigung wurden diese zum Gegenstand des Verfahrens. Das Belastungsinteresse dieses Neonazis gegen alle Personen, die er als Linke verortet, konnte so thematisiert werden.
Während der Verhandlung kam es zu zwei kleinen Disputen zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Verteidigung. Zunächst beanstandete die Verteidigung einen Vorhalt des Richters aus der Akte gegenüber dem Zeugen. Dieser Vorhalt geschehe zu früh, der Richter solle den Zeugen erstmal aus seiner Erinnerung berichten lassen. Einen geforderten Gerichtsbeschluss umging der Richter einfach, indem er dem Zeugen den Vorhalt nicht direkt machte, sondern paraphrasierte. In der Gegenrichtung bestand der Richter darauf, dass Fragen nach dem Fußballteam und der dort vertretenen politischen Gesinnung nicht zur Sache gehören würden. Dabei wurden die Fragen der Verteidigung unterbunden, indem der Vorsitzende ihr das Mikrofon abschaltete.
Nach Bekanntwerden seiner Beteiligung am „Sturm auf Connewitz“ habe Scholz vermehrt Drohungen erhalten. So habe es Drohbriefe und einen Einbruchsversuch in die Wohnung seiner Mutter gegeben. Auch eine Ausbildung zum Ergotherapeuten an der Bernd-Blindow-Schule in Leipzig habe er abbrechen müssen, da sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte seine Beteiligung an dem Angriff missfiel und sie ihm das haben spüren lassen. Auch verbale Drohungen habe es gegeben. Angezeigt habe er diese jedoch nicht.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurden drei Lichtbildmappen angeschaut. Auf den Bildern waren der Tatort aus verschiedenen Blickwinkeln, das Umfeld des Tatortes sowie die Verletzung von Scholz zu sehen.
Die Befragung seitens der Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Geilhorn und ihre Kollegin, ergab lediglich, dass die Trainingszeiten des Fußballvereins auf deren Onlinepräsenz einsehbar seien. Zudem habe er aufgrund seines Arbeitsverhältnisses zu diesem Zeitpunkt, Security bei einem Supermarkt, nicht regelmäßig am Training seines Teams teilnehmen können. Die Verteidigung erfragte später, ob er mitteilen könne, was unregelmäßig bedeutet. Da meinte er, er sei zu dieser Zeit ungefähr alle zwei Wochen zum Training gekommen. Scholz wurde vorgehalten, dass er in einer früheren Aussage gemeint habe, dass er sechs bis acht Wochen vor der Tat nicht am Training teilgenommen habe. Scholz entgegnete, dass das stimmen könne.
Durch weitere Fragen der Nebenklage sowie eines Richters kam heraus, dass der Angriff keine Auswirkungen auf sein Arbeitsverhältnis hatte. Dieses sei zu dem Zeitpunkt zu Ende gewesen. Er habe erst im Sommer 2019 wieder angefangen zu arbeiten, dies habe jedoch andere Gründe gehabt, die nichts mit dem Vorfall zu tun gehabt hätten.
Unerhaltsam wurde es, als die Verteidigerin auf die seitens Scholz mitgeführte Sturmhaube am Tattag angesprochen wurde. Er verwies darauf, dass die noch vom Go-Kart mit dem Team in seiner Sporttasche gelegen habe. Zudem würde er diese immer tragen, wenn er joggen gehe und es kalt sei. Er würde auch mit Sturmhaube trainieren. Dies sei in seinem Team sehr üblich, wenn sie bspw. über die Dörfer laufen gehen müssen. Dann würden alle Sturmhauben oder Schlauchschals gegen die Kälte tragen.
Die Verteidigerin erfragte auch, wie sich Scholz selbst verorten würde. Dabei kam heraus, dass er sehr wohl weiß, wie er von anderen wahrgenommen werde, er selbst erachtet sich hingegen als „politisch normal“. Gegenüber dem Rechtsmediziner Dr. B. am 31.10.2018 habe sich Scholz noch selbst als „ultrarechts“ beschrieben. Er selbst könne Politisches und Sportliches voneinander trennen. So habe er im Verein, in dem er seit fast zehn Jahren ist, die politischen Auffassungen der anderen Mitglieder nie gefragt oder besprochen. Im Verein seien auch Leute, die in der SPD oder CDU sind.
Im Weiteren stellten die Verteidigerinnen Fragen zur Nutzung des Sportplatzes, den Wohnorten seiner Mitspieler sowie zu seinen Besucher*innen im Krankenhaus. Und weshalb er in polizeilichen Vernehmungen besonders Personen aus seinem Team benannt habe, die ihn nicht besucht oder sich nach seinem Befinden erkundigt hätten.
Die Verteidigung befragt Scholz noch zu folgenden Themen:
- Seiner Annahme, wonach die Angreifer*innen keine Mobiltelefone mit sich geführt hätten. Er meinte, es sei allgemein bekannt, dass Handys ortbar seien und es Funkzellenabfragen gäbe.
- Seiner Tätigkeit als Security im REWE-Supermarkt. Hier habe es sich um die Überwachung der Kameras kümmern müssen. Zudem habe er angetrunkene Personen entfernen müssen. Diese Personen seien danach aufgebracht gewesen, jedoch sei ihm nie etwas passiert, wenn er die entsprechenden Personen später mal wiedergetroffen hat.
- Seinem Bezug zu Fußball. So sympathisiere er seit Kindheitstagen mit Lok Leipzig. Jedoch gehe er selten, lediglich zweimal jährlich, zu deren Spielen. Zudem besuche er Spiele des ATSV „Frisch auf“ Wurzen. So war er u. a. bei Spielen gegen ein Jugendteam von Chemie Leipzig. Dabei könnte es sich um jenes handeln: https://chronikle.org/ereignisse/antisemitische-rufe-fu%C3%9Fballspiel-wurzen. Auch bei einem Spiel gegen den Roten Stern Leipzig, nach dem das NDK Wurzen angegriffen wurde, war er zugegen: https://chronikle.org/ereignisse/neonazimob-greift-ndk-fu%C3%9Fballspiel-wurzen. Da entgegnete er lediglich, dass das NDK öfter angegriffen worden sei.
- Seinem Dasein als Anti-Antifa-Fotograf bei einer Antifa-Demo im Januar 2018: Als Fotograf habe er sich dabei lediglich betätigt, da er Bilder von den Antifa-Transpis machen wollte. Im Laufe des Tages habe es mehrere verbale Anfeindungen und Bedrohungen ihm gegenüber gegeben haben, die er aber nicht angezeigt habe. Er glaube, er würde bedroht werden, weil sie nicht seiner politischen Meinung seien.
- Seiner Befragung bei der Polizei hinsichtlich Personen, die sich untypisch verhielten und dadurch auffielen und die er daher mit dem Angriff in Verbindung bringe. Scholz habe in diesem Zusammenhang zwei Namen von Antifas aus der Region gegenüber der Polizei genannt.
Kurz vor 13:00 Uhr unterbrach Kubista die Befragung des Zeugen Scholz. Er lud ihn auf Mittwoch, 07.01.2026, 09:30 Uhr, erneut ein. Die Verteidigung kann an diesem Tag ihre Zeugenbefragung fortsetzen. Gegenüber der Verteidigerin, die die Befragung vorrangig durchführte, äußerte Kubista im Laufe des Prozesstages mehrere unnötige Spitzen. So meinte er, sie sei sonst so auf Geschwindigkeit aus, ließe sich hier aber Zeit bei der Befragung. Die Verteidigerin konterte, ihr Interesse sei die Aufklärung und nicht die Geschwindigkeit der Befragung.
Damit endete der 5. Prozesstag um 13:00 Uhr. Der nächste Prozesstag ist Mittwoch, der 10.12.2025, um 09:30 Uhr am Oberlandesgericht Dresden. Hier soll Tobias Nees vernommen werden, weil er Geschädigter eines Angriffs von Antifas am 08.01.2019 gewesen sein soll. Nees hat bisher einmal vorm OLG ausgesagt.
